Brunhild Hauschild: Programm zum 8.4.09

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Zu Hause in Hellersdorf

Die S- Bahn brachte mich an den Rand von Berlin. „JotWiDe“, wie janz weit draußen, hieß es umgangssprachlich unter uns Urberlinern. Als ich den Bahnhof Kaulsdorf hinter mir gelassen hatte, umfing mich ländliches Flair, gemischt mit Schmutzspuren und kargem Grün. Ich folgte der Hellersdorfer Straße, die Schmutzspuren nahmen zu, das wenige Grün nahm ab. Mein Blick fiel auf eine Riesenbaustelle ungeahnten Ausmaßes. „Oh, ist das schrecklich“ ging es mir durch den Kopf. Die Straße mündete in einen Kreuzungskomplex. Ich konnte zukünftige Wege zu geplanten Gebieten ausmachen. Überall fuhren Transporter und Baufahrzeuge geschäftig umher. Linker Hand sah ich Neubauten entstehen. Davor türmte sich eine kleine Anhöhe auf. Ich entdeckte ein Hinweisschild, das mich in die bereits besiedelte Gegend rund um die Bansiner Straße verwies. Meine Füße samt trittfesten Schuhen schienen sich verweigern zu wollen. „In diesen Dreck sollen wir eintauchen?“ Rechts von mir, nur knapp 100 Schritte entfernt, weideten Schafe. Dort sah es sehr idyllisch aus. Ein Feld gab den Augen das Empfinden von Weite und Grün.

Ich stand mitten in einer Welt der krassesten Widersprüche.

Das Altenwohnheim grenzte sich mit einem unauffälligen Zaun von der entstehenden Umgebung ab. Es lag auf einem Areal, das einen zukünftigen Garten, parkähnliche Gestaltung und schon benutzbare Bankgruppen aufwies. Der Eingangsbereich empfing mich mit hellen Farben und viel Licht. In den Vitrinen stellten die Heimbewohner ihre Handarbeiten aus. „Guten Tag“ meldete sich eine Stimme hinter der Reception. „Guten Tag, ich möchte zwei Damen aus meinem alten Mietshaus besuchen“. „Nehmen Sie bitte den Aufzug in die 5. Etage“ dirigierte mich die Stimme.

Die zwei Damen hatten es sichtlich gut getroffen. Sie zeigten mir stolz das eigene kleine Badezimmer. Das geräumige Wohnzimmer war warm und sonnig und hatte über die ganze Fensterfront einen Balkon. Mit dem Fahrstuhl konnten die Frauen in den Speisesaal oder den Garten gelangen.

„Na, wie sieht es jetzt in unserer Straße aus?“ wollten sie später von mir wissen. Ich erzählte ihnen von der Rekonstruktion unseres Hauses und dem Baugeschehen in der kleinen, engen Straße in Mitte.

Beim Abschied beteuerten sie, daß sie zu keiner Minute ihren Domizilwechsel bereuten. Sie erlebten von Anfang an das Wachsen und Werden von Kaulsdorf Nord. Und sie erkundeten ihr neues Umfeld, solange wie ihre Beine sie trugen.


Fast auf den Tag genau ,9 Jahre später, hielten wir eine Wohnungszuweisung in der Hand.

Durch die Grenzöffnung wurden wir plötzlich mit vielen Veränderungen im Wohnumfeld konfrontiert. Gewalt, Drogen, Ängste, Lärm nisteten sich ein, es wurde schmutzig, noch enger, noch lauter. Wir, die nie aus Mitte ausziehen wollten, sehnten uns nach Ruhe und frischer Luft. „Hellersdorf, da ziehe ich nie hin“ hatten wir immer getönt. Assoziationen von Beton, Wohnsilos, Enge, fehlendem Grün verbanden sich dabei.

Und nun hielten wir die Möglichkeit zum Umzug in der Hand- nach Hellersdorf!


An einem Abend im Januar machten wir uns auf den Weg. Die S-Bahn- Station Kaulsdorf kannte ich ja bereits. Zu Fuß gingen wir durch Vorstadtgärten, friedlich und ländlich empfing uns der Stadtteil. Alles sah ganz anders als vor 9 Jahren aus.


Dann öffnete sich der Blick über eine Talsohle auf unserer künftiges Wohngebiet. Der Schnee glitzerte und knirschte unter den Schuhsohlen. So eine Überraschung! Kirchenglocken läuteten aus der Ferne. Es war, als wenn alles Schwere in dieser Idylle von uns genommen wurde. Übermütig vergaßen wir bei der folgenden Schneeballschlacht unsere Vorurteile.

Das kleine Viertel, Kirchendreieck genannt, bot uns eine überschaubare neue Heimat.

Die für uns reservierte Wohnung hatte alles, was uns in unseren Träumen vorschwebte. Balkon Süd-West-Seite, helle Zimmer, genug Ausblick in die Natur. Unser Sohn brachte letztlich alles auf den Punkt: „Endlich habe ich die Schule vor der Tür, dazu eine Turnhalle und genug Platz zum Spielen und Fahrradfahren.“

Warum sollten wir noch lange überlegen? Erst jetzt dachten wir wieder an unsere zwei Damen, die vor 9 Jahren bereits den Schritt gen „JotWiDe“ gewagt hatten.



Und heute, 18 Jahre später? Wir sind mit dem Stadtbezirk gewachsen und verwachsen.

Es ist schön hier!




Brunhild Hauschild 09.01. 2009


 

Mir stink`s!


Wohin auch mein Auge blicket,

Hundekot liegt rings umher.

Dass mich dieser Dreck erdrücket,

wo sonst Grün den Blick entzücket,

das zu ahnen fällt nicht schwer.


Wohin sich mein Fuß auch wendet,

Hundehaufen rechts und links.

Keine Tüte wird verwendet,

worin dieser Dreck dann endet.

Ich sag`s offen hier: mir stink`s!





05.02. 2009 Brunhild Hauschild

Veröffentlicht in tierisch

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